13.07.2020 Rezension von A n n i k a   S c h m i d t

  • Jürgen Hasse, Was Räume mit uns machen - und wir mit ihnen. Kritische Phänomenologie des Raumes. Freiburg 2015, Verlag Karl Alber, ISBN: 978-3495486382

Das Buch ist ein Sammelband über 20 Beiträge von Jürgen Hasse, die zwischen 2002 und 2013 in einer interdisziplinären Auswahl an Fachjournalen erschienen sind. Für diesen Band wurden sämtliche Beiträge nochmals überarbeitet, etwaige inhaltliche Überschneidungen der Kapitel tun dem Werk jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil unterstützen diese, sich auf den phänomenologischen Blick einzulassen und Themen der Vergesellschaftung, der Sozialwissenschaften und der Stadtforschung aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Auch wenn sich die Beiträge zu thematischen Schwerpunktgruppen zusammenfassen lassen, haben doch alle eins gemeinsam: „[Sie] widmen sich jener Schnittstelle, an der Menschen mit Räumen in Berührung kommen.“ (12) Und das macht dieses Buch so wertvoll für das Leiten von Aufstellungen: Ausgehend von der (neuen) Phänomenologie widmet sich Hasse in den Beiträgen einer Ontologie der Wahrnehmung des Raumes oder besser des Räumlichen sowie von Atmosphären und Stimmungen, deren Produktion, Funktion und Wirkmacht. Der Grundannahme folgend, dass sich jedes Verstehen von Situationen „in einer kognitiven und einer affektiven Dimension“ (34) vollzieht, spürt er der pathischen Verflochtenheit in Geschehen, Systemen und räumlichen (An)Ordnungen nach.

Dabei versucht er eine Sprache zu finden, für leibliche Regungen und Empfindungen, ganzheitlich wahrgenommene Eindrücke, die in Worte zu fassen wir nicht gewohnt sind. Hier zieht Hasse auf beachtliche Weise eine Querverbindung zu Heideggers Begriff des Wohnens als handelnd-aktive Raumaneignung sowie pathische Teilhabe am mitweltlichen Geschehen und Foucaults Technologien des Selbst. Auf diese Weise fordert er ein „zu übende[s] Sprechen-können über das eigenleibliche Befinden in (persönlichen, gemeinsamen und gesellschaftlichen) Situationen“ (19), was zu einer differenzierteren Wahrnehmung (insbesondere von Atmosphären und Stimmungen) und einer selbstbestimmteren Lebensgestaltung beitragen solle.

Alle Beiträge zielen auf eine Vielperspektivität des Räumlichen, einer wahrnehmenden Ergänzung unseres mathematischen Lageraums berechenbarer Abstände und Positionen um weitere vielschichtige, qualitative statt quantitative Dimensionen (z.B. Gefühls- und Stimmungsqualitäten, die zwar räumlich ausgedehnt sind, diese Ausdehnung jedoch nicht berechnet und physisch klar umgrenzt werden kann). Als em. Professor für Humangeografie liegt sein Schwerpunkt zwar auf der Stadtforschung, sodass sich auch seine Beispiele vornehmlich auf das Erleben und atmosphärische Wahrnehmen des Städtischen beziehen; dennoch ist es ein Leichtes, diese Bezüge auf andere Formen des Räumlichen – wie den (ge-stimmten) Raum einer Aufstellung – zu übertragen. Dies wird meines Erachtens besonders an folgendem Zitat deutlich, das auf ganz eigene Weise den Kern der Aufstellungsarbeit erfasst:

„Das Denken der verschiedenen Formen des Räumlichen ist eine Grenz-Passage. Auf ihr werden die Berührungen zwischen mathematischem, symbolischem, sozialem, leiblichem und situativem Raum nach-denkend bewusst. Diese Grenzen verwandeln sich dann in Nähte, die geöffnet und wieder geschlossen werden können, auf dass sich das Individuum in der Nach-arbeitung seiner subjektiven Weltverwicklungen (denkend und nachspürend) mit sich selbst konfrontiert sähe.“ (42)

Hasse gelingt es auf einmalige Art, in einfach verständlichen Worten komplexe Theorien in alltagsweltliche Kontexte zu überführen und so einen Zugang zum nachspürenden Erleben, Wahrnehmen und Reflektieren leiblicher sowie atmosphärischer Räumlichkeit zu erlangen.


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